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18.06.25
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Unternehmen & Märkte

Arbeit gibt Würde - und Unternehmen neue Perspektiven

Ein Kollege hilft einem andern am Computer.
© Tent Partnership for Refugees

Während viele Unternehmen händeringend nach Fachkräften suchen, bleibt ein riesiges Potenzial oft ungenutzt: geflüchtete Menschen. Tent Deutschland will das ändern – mit einem Netzwerk aus 80 Unternehmen, die zeigen, wie Integration in der Arbeitswelt gelingen kann. Zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni erklärt Direktor Christian Schmidt, warum es sich für Arbeitgeber lohnt, jetzt umzudenken.

Herr Schmidt, Sie sind Direktor von Tent Deutschland. Was hat Sie persönlich dazu bewegt, sich für geflüchtete Menschen zu engagieren?

Christian Schmidt: Migration und Integration sind Themen, die mir sehr am Herzen liegen und mich während meiner gesamten beruflichen Laufbahn begleitet haben, sei es als Leiter einer Sprachschule in Luxemburg, als Berater für internationale Personalfragen und natürlich jetzt als Direktor von Tent Deutschland.

Wie genau unterstützt Ihre Organisation geflüchtete Menschen bei der Arbeitsmarktintegration?

Christian Schmidt: In Deutschland leben 2,6 Millionen geflüchtete Menschen. Davon sind etwa eine halbe Million arbeitslos, was häufig auf strukturelle Barrieren wie zum Beispiel Sprachbarrieren, bürokratische Hürden oder fehlende berufliche Netzwerke zurückzuführen ist. Wir glauben, dass Unternehmen eine entscheidende Rolle dabei spielen, geflüchtete Arbeitssuchende auf ihrem Weg in Beschäftigung zu begleiten und sie bei der Berufsvorbereitung zu unterstützen. Deshalb bieten wir unseren Mitgliedsunternehmen gezielte Beratung und vermitteln ihnen erstklassige lokale Partner, die ihnen dabei helfen, ihre Einstellungsverfahren so anzupassen, dass sie Bewerber:innen mit Fluchthintergrund besser berücksichtigen können. Hierzu gehören beispielsweise die Einbeziehung mehrsprachiger Kolleg:innen oder Dolmetscher:innen bei Vorstellungsgesprächen und die proaktive Erläuterung des Bewerbungsprozesses sowie der nächsten Schritte in einfacher Sprache. Darüber hinaus bieten wir kostenfreie Mentoring-Programme an, die geflüchteten Menschen den Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt erleichtern und gleichzeitig Arbeitgebern die Herausforderungen dieser Zielgruppe näherbringen.

Gibt es strukturelle Hürden bei der Einstellung von Menschen mit Fluchthintergrund und wenn ja, wie gehen Sie damit um?

Christian Schmidt: Geflüchtete Menschen sehen sich in Deutschland mit besonderen strukturellen Hürden bei der Einstellung und Einarbeitung konfrontiert, beispielsweise beim Erlernen der deutschen Sprache oder der Anerkennung von Qualifikationen für bestimmte Tätigkeiten. Unternehmen, die gezielte Unterstützungsmaßnahmen wie Sprachkurse, administrative Hilfestellungen, Kinderbetreuung oder Ausbildungsprogramme am Arbeitsplatz anbieten, erreichen eine größere Gruppe von Talenten und können die oben genannten Hürden für Geflüchtete überwinden. Dabei handelt es sich um strategische Entscheidungen, die zwar kurzfristige Kosten verursachen, sich jedoch langfristig für Unternehmen lohnen können. Laut einer Studie des Tent-Mitglieds Boston Consulting Group können sich einige Investitionen für die Einstellung von Geflüchteten in Deutschland bereits innerhalb eines Jahres amortisieren. Tent Deutschland unterstützt Mitgliedsunternehmen dabei, Bewerber:innen mit Fluchthintergrund, die rechtmäßig Zugang zum Arbeitsmarkt haben, besser zu erreichen.

Wieso ist die Integration von Geflüchteten in den deutschen Arbeitsmarkt so wichtig?

Christian Schmidt: Derzeit sind in Deutschland 1,2 Millionen Stellen unbesetzt. Aus wirtschaftlicher Sicht ist es daher unerlässlich, dass Unternehmen in die Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Arbeitssuchenden investieren. Andernfalls droht sich der Arbeitskräftemangel wegen des demografischen Wandels weiter zu verschärfen, was langfristig die Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliche Stärke Deutschlands beeinträchtigen kann. Unternehmen, die jetzt handeln und geflüchtete Menschen einstellen, profitieren dabei in mehrfacher Hinsicht,  zum Beispiel mit Blick auf ein höheres Mitarbeiterengagement , geringere Fluktuationsraten und eine positive Markenwahrnehmung . Das belegen mehrere Studien, die wir durchgeführt haben. Deshalb sprechen wir oft von einer „Win-Win-Win-Situation“: für die Geflüchteten selbst, für die Unternehmen, die sie einstellen, und im weiteren Sinne für die deutsche Volkswirtschaft insgesamt.

Wie arbeiten Sie mit lokalen Unternehmen und NGOs zusammen?

Christian Schmidt: Tent Deutschland baut auf den Erfahrungen von über 500 Tent-Mitgliedsunternehmen in elf Ländern auf, die geflüchtete Menschen eingestellt und in ihre Belegschaft integriert haben.

Während einige Unternehmen in unserem Bündnis Programme zur Einstellung von geflüchteten Menschen aufgelegt und in einigen Fällen, wie beispielsweise bei der DHL Group, bereits Tausende von geflüchteten Menschen erfolgreich eingestellt haben, stehen viele Unternehmen noch am Anfang. Unser Bündnis versteht sich als Plattform zum Austausch: Unternehmen können voneinander lernen, bewährte Verfahren teilen und gemeinsam Lösungen für strukturelle Herausforderungen entwickeln. Wir arbeiten eng mit Personal- und DEI-Teams zusammen, um individuelle Initiativen zu entwickeln oder auszuweiten, die Geflüchtete einbeziehen und an die aktuellen Ressourcen und Einstellungsbedarfe des Unternehmens angepasst sind. Darüber hinaus koordinieren wir Gruppeninitiativen in Zusammenarbeit mit Bildungs- und Hilfsorganisationen für Geflüchtete wie Jobs4Refugees, Socialbee oder Kiron Open Higher School of Education. Diese Kooperationen reichen von Jobmessen über gezielte Pilotprojekte zur Personalgewinnung bis hin zu ehrenamtlichem Engagement, beispielsweise im Mentoring-Programm für geflüchtete Frauen. Über dieses Programm wurden bereits mehr als 2.500 Frauen mit Fluchtgeschichte in Europa bei der Arbeitssuche begleitet.

Welche Rolle spielen digitale Technologien oder Plattformen in Ihrer Vermittlungsarbeit?

Christian Schmidt: Digitale Tools bieten eine Vielzahl von Möglichkeiten, um Geflüchtete ins Berufsleben zu integrieren. So können digitale Plattformen und Übersetzungstools Sprachbarrieren überwinden, indem sie Simultanübersetzungen für eine bessere Kommunikation in mehrsprachigen Teams anbieten. Ein Beispiel aus der Praxis für digitale Tools ist die preisgekrönte Sprach-App von Tent Deutschland-Mitglied DHL in Zusammenarbeit mit LinguaTV , mit der Mitarbeiter:innen im Liefersektor relevante Vokabeln für ihre Arbeit lernen können.

Auch im Bewerbungsprozess erweisen sich digitale Tools und KI-Anwendungen als hilfreich. Zum Beispiel dann, wenn es darum geht, Fähigkeiten zu identifizieren, die Bewerber:innen mit Fluchthintergrund aus früheren Jobs mitbringen, diese aufgrund fehlender Sprachkenntnisse jedoch nicht so gut erklären können.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, das den Erfolg Ihrer Arbeit besonders gut veranschaulicht?

Christian Schmidt: Jobmessen mit Fokus auf geflüchtete Menschen sind ein wirkungsvolles Instrument, um Unternehmen und Arbeitssuchende zusammenzubringen. Wir haben dies bereits dreimal gemeinsam mit unserem Partner Jobcenter München in Deutschland sowie europaweit mit unserem Mitgliedsunternehmen und langjährigen Partner Indeed durchgeführt und damit Tausende von geflüchteten Talenten erreicht, die die Möglichkeit hatten, Arbeitgeber kennenzulernen, sich für offene Stellen zu bewerben und einen Arbeitsplatz zu finden. Für die kommenden Monate planen wir weitere Jobmessen sowie individuelle Recruiting-Veranstaltungen für Mitgliedsunternehmen.

Was war bisher die größte Herausforderung – und wie haben Sie sie gemeistert?

Christian Schmidt: Viele Unternehmen erkennen sowohl die gesellschaftliche Verantwortung als auch die Chancen, die sich aus der Einstellung und Integration geflüchteter Arbeitssuchender ergeben, verfügen jedoch nicht über die erforderlichen Mittel und Ressourcen, um dies umzusetzen. Wir arbeiten mit Unternehmen zusammen, um diese Lücken durch praktische Beratung, Online-Ressourcen in unserem Members-Hub und konkrete Möglichkeiten für Initiativen mit Partnern zu schließen. So treiben wir Initiativen voran, um Geflüchtete effektiv in die Arbeitswelt zu integrieren. Dazu teilen wir auch Erfolgsgeschichten unserer Mitglieder, damit andere große Unternehmen inspiriert werden, sich unserem Bündnis anzuschließen und aktiv zu folgen.

Wie hat sich Ihre Sicht auf Migration und Integration durch Ihre Arbeit verändert?

Christian Schmidt: Meine Arbeit bei Tent hat mir gezeigt, dass Migration nicht nur ein humanitäres Problem ist, sondern auch eine treibende Kraft für wirtschaftliche und soziale Chancen. Wenn geflüchtete Menschen eine Chance und Unterstützung erhalten, sind sie erfolgreich – ebenso wie die Arbeitgeber und Länder, die sie aufnehmen. Ich bin optimistisch, dass sich weitere Unternehmen Tent Deutschland anschließen und die Vorteile der Beschäftigung von geflüchteten Menschen für sich selbst erkennen werden.

 

Christian Schmidt© Tent Partnership for Refugees

Zur Person

Christian Schmidt ist Direktor von Tent Deutschland. In dieser Funktion leitet er die Arbeit von Tent mit seinen 80 Mitgliedsunternehmen, um Geflüchtete landesweit durch Einstellung, Weiterbildung und Mentoring in Arbeit zu bringen.

Bevor er seine Tätigkeit bei Tent aufnahm, war er in der internationalen Geschäftsentwicklung als Direktor für ein deutsch-schweizerisches Beratungsunternehmen und als externer Partner und Berater im Bereich Talent Management und Organisationsentwicklung tätig. Christian verfügt außerdem über 20 Jahre Erfahrung im Bereich digitales Sprachtraining (einschließlich deutscher Online-Integrations-Trainingsprogramme für Menschen mit Migrationshintergrund).

Christian hat einen MA-Abschluss in Interkultureller Kommunikation (Deutschland).

 

Über Tent Deutschland

Da Deutschland eine große Zahl von Geflüchteten aufnimmt, spielen Unternehmen eine entscheidende Rolle bei der wirtschaftlichen Integration geflüchteter Menschen in ihre neuen Gemeinschaften. Tent Deutschland ist ein Netzwerk aus 80 großen Unternehmen, die sich für die Einstellung von Geflüchteten einsetzen und sie bei der beruflichen Eingliederung unterstützen. Es ist Teil der internationalen Tent Partnership for Refugees, die 2016 von Hamdi Ulukaya, dem CEO und Gründer des US-amerikanischen Lebensmittelherstellers Chobani, - gegründet wurde. Ziel des Netzwerks ist es, geflüchtete Menschen bei der Integration in den lokalen Arbeitsmarkt zu unterstützen. Neben Deutschland ist Tent in zehn weiteren Ländern in Nord- und Südamerika sowie Europa tätig. Weitere Informationen finden Sie unter www.tent.org/Deutschland.

 

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Mimoza Murseli
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