Fieber statt Ferien

Migräne am Wochenende, verschnupft in den Urlaub? Leisure Sickness heißt das Phänomen, wenn der Köper in der Freizeit regelmäßig schlapp macht. Was die „Freizeitkrankheit“ verursacht und wie man effektiv vorbeugen kann.
Endlich Urlaub – und gleich mal krank! Es scheint fast wie ein Fluch: Die schönste Zeit des Jahres steht bevor, doch kaum ist alles erledigt und die Bürotür von außen geschlossen, macht der Körper schlapp. Über Jahre hinweg hat Verena Behrens (Name von der Redaktion geändert) diese Reaktion bei sich selbst beobachtet. „Ich habe perfekt funktioniert, solange ich gearbeitet habe. Meistens war der letzte Arbeitstag auch noch besonders lang, damit alles fertig wird. Doch sobald dieser Berg dann hinter mir lag und die Entspannung eingesetzt hat, habe ich die Quittung bekommen.“ Migräne und Nebenhöhlenentzündung begleiteten die Personalentwicklerin regelmäßig in die Ferien. „Während der ersten Urlaubstage war ich immer komplett neben der Spur“, erzählt die passionierte Mountainbikerin. Statt Aktivurlaub war Bettruhe angesagt.
Mit diesen Erfahrungen ist Verena Behrens nicht allein. In einer repräsentativen
Untersuchung der IU Internationalen Hochschule Erfurt von 2025 gaben rund 20 Prozent der etwa 2000 Befragten an, immer oder häufig an freien Tagen oder im Urlaub krank zu werden oder sich erschöpft zu fühlen. Doch was auf den ersten Blick wie ein ärgerlicher Zufall erscheint, ist oft eine Art Notsignal des Körpers. Professor Michael Stark, Stress- und Fatigueforscher in Hamburg, erklärt es so: „Bei vielen Menschen mit einem hoch getakteten Arbeitsalltag ist das vegetative Nervensystem, bestehend aus Sympathikus und Parasympathikus, ständig auf Angriff oder Flucht getrimmt.“ Im Sympathikus-Modus schlägt unser Herz schneller, die Muskeln werden bestens mit Sauerstoff versorgt, wir sind hochkonzentriert – quasi jederzeit bereit, es mit dem Säbelzahntiger aufzunehmen. Wichtig wäre es, nach einer solchen Stressphase den Parasympathikus wieder seinen Dienst tun zu lassen – er ist zum Beispiel zuständig für Tiefschlaf, Verdauung und Lustempfinden. Doch das Problem ist laut Stressforscher Stark folgendes: „Wir schalten auch abends nicht zurück.“ Der Spiegel der Stresshormone Adrenalin und Cortisol bleibt beständig hoch. Erst wenn wir uns am Wochenende oder im Urlaub etwas Ruhe gönnen, versucht der Körper, für Ausgleich zu sorgen und fährt herunter. Je nach individueller Veranlagung können daraus dann ganz unterschiedliche Krankheitssymptome resultieren. Manche Betroffenen würden am liebsten drei Tage nur schlafen. Andere Menschen reagieren mit Fieber oder Rückenschmerzen – oder eben mit Nebenhöhlenentzündung und Migräneattacken wie Verena Behrens.
Forschende um den Psychologen Ad Vingerhoets von der niederländischen Universität Tilburg haben dieses Phänomen bereits Anfang der 2000er-Jahre wissenschaftlich untersucht und einen passenden Namen dafür gefunden: Leisure Sickness, also Freizeitkrankheit. Allerdings ist es nicht die Freizeit, die uns krank macht, sondern die Dauerbelastung davor. Zu den typischen Risikofaktoren gehören beispielsweise ein herausforderndes Arbeitsumfeld, ein hohes Verantwortungsbewusstsein und permanente Erreichbarkeit.
So fühlte sich in der oben zitierten Studie ein Drittel der Befragten (33,5 %) verpflichtet, auch in der Freizeit erreichbar zu sein - bei den unter 25-Jährigen steigt dieser Wert auf 42,6 Prozent. Knapp die Hälfte der Studienteilnehmenden (47,4 %) ruft auch außerhalb der Arbeitszeit berufliche Mails ab – über ein Drittel (36,7 %) sogar im Urlaub. Hinzu kommt: 80,6 Prozent der Befragten leisten regelmäßig Überstunden.
Ein Schutzschild gegen Stress aufbauen
Auch schon mal krank in die Ferien gestartet? Kein Grund zur Panik! Nicht alle, die einmal mit Schnupfen am Strand saßen, leiden unter Leisure Sickness. „Entscheidend ist das wiederkehrende Muster“, betont die Psychologin Birte Balsereit. Gedanken machen sollte sich, wer am Wochenende regelmäßig platt im Bett liegt oder in jedem Jahresurlaub krank wird. Denn Leisure Sickness kann ein Vorbote von Burn-out oder Depressionen sein. Diese Tipps können als Schutzschild gegen krankmachenden Stress helfen:
- Pausen machen: Bewusste kleine Pausen zwischendurch helfen dem Gehirn, sich zu erden und wieder im Hier und Jetzt anzukommen.
- Atmen: Zehnmal bewusst ein- und ausatmen hilft Stresshormone zu reduzieren.
- Nein sagen: Gesundheitsgefährdende (Arbeits-)Anforderungen nicht kommentarlos hinnehmen, sondern auch Erholungszeit einfordern.
- Schlafen: Im Schlaf wird Stress abgebaut. Tipps und Übungen, wie man trotz Alltagshektik erholsam schläft, gibt‘s zum Beispiel bei der Deutschen Stiftung Schlaf.
- Abgrenzen: Arbeit und Freizeit sollten klar voneinander getrennt sein, auch im Homeoffice. Helfen können Rituale, die den Feierabend einläuten, zum Beispiel den Laptop abdecken, die Kleidung wechseln, eine Dehnübung machen.
- Bewegen: Sport und Bewegung helfen, um aktiv zu entspannen. Es muss ja nicht gleich ein Marathon sein – jeden Tag nach der Arbeit zehn Minuten rausgehen ist ein guter Anfang.
- Nachdenken: Müssen es immer 100 Prozent Leistung sein? Oder reichen hier und da vielleicht auch mal 80 oder 90 Prozent?
Verena Behrens kann das bestätigen. Im Beruf großem Stress ausgesetzt, kamen bei ihr noch Belastungen im privaten Umfeld hinzu, da sowohl ihre Eltern als auch die ihres Mannes pflegebedürftig wurden. Fünf oder sechs Jahre lang, berichtet die 52-Jährige, sei sie regelmäßig in ihrem Jahresurlaub erst einmal krank geworden. Inzwischen hat sie gelernt, der Leisure Sickness einen Riegel vorzuschieben, indem sie rechtzeitig einen Gang zurückschaltet. „Ich versuche ganz bewusst die letzten Arbeitstage vor dem Urlaub kürzer zu gestalten und nicht mit Terminen zu überladen“, sagt sie. Statt samstags startet sie nun immer erst am Sonntag in die Ferien – so bleibt Zeit genug, daheim noch alles zu managen und in Ruhe zu packen. Solche Puffer-Tage vor dem Urlaub empfiehlt auch die Psychologin Birte Balsereit. Um die Stresshormone behutsam herunterzufahren, rät sie, Zeit einzuplanen, in der man aktiv ist und gleichzeitig Abstand von der Arbeit gewinnt.
Auch Stressforscher Michael Stark ist überzeugt, dass sich die Freizeitkrankheit ausbremsen lässt. Statt alle freien Tage für die eine große Reise aufzusparen, empfiehlt Stark, öfter mal einen Kurztrip zwischendurch einzuplanen oder auch nur eine entspannende Massage. Erholsamer als eine Abenteuerreise an besonders spektakuläre Orte sei es für Stressgeplagte, im Urlaub vertraute Ziele anzusteuern und dort beispielsweise im Lieblingsrestaurant einzukehren. Ein weiterer Tipp: Nicht zu plötzlich in den Relax-Modus wechseln. „Für die erste Urlaubswoche ist es oft besser, sich eine Betätigung zu suchen, bei der auch der Kopf noch beschäftigt ist, einen Golfkurs zum Beispiel“, so Stark.
Verena Behrens hilft außerdem der Sport, um dauerhaft in Balance zu bleiben: An zwei Abenden pro Woche schwingt sie sich aufs Rad oder macht Kräftigungsübungen. Mit der körperlichen Betätigung zieht sie ganz bewusst den Schlussstrich unter ihren Arbeitstag. „Man schleppt sonst zu viel aus dem Büro mit in die Freizeit.“
Weiterführende Links:
Detaillierte Studienergebnisse zur Leisure Sickness finden Sie hier: IU Studie zu Leisure Sickness | IU News
Was hilft gegen Leisure Sickness? Interview und Tipps | IU Studiea

